Statement aus dem P-Seminar, Juli 2021

Für das P-Seminar Stolpersteine habe ich mich entschieden, weil ich etwas Bedeutsames tun wollte. Vor dem Seminar war mir das Ausmaß der Medizinverbrechen im Nationalsozialismus noch nicht bewusst, obwohl ich davon schon gehört hatte. Umso sicherer war ich mir, dass Aufklärungsarbeit dringend notwendig ist und wollte selbst dazu beitragen. Natürlich fand ich auch die Möglichkeit mit Akten zu arbeiten sehr interessant.

Die war auch besonders bewegend für mich, da wir uns mit realen Personen beschäftigt haben. Wir haben uns im Voraus bereits über die Medizinverbrechen (besonders die Morde im Zuge der "Aktion-T4") informiert und uns auch mit dem Erbgesundheitsgesetz beschäftigt. Trotzdem war die Arbeit mit den Akten etwas ganz anderes. Die Informationen, die im Geschichtsunterricht höchstens klinisch zur Sprache kommen, waren dann plötzlich ganz nah. Man erfuhr so viel darüber, wie ein Mensch wohl gewesen sein könnte, nur durch die Akten, denen manchmal sogar Fotos beilagen. Das nimmt einen dann schon mit, wenn man nicht mehr über Fälle, sondern über ganz bestimmte Menschen spricht. Man erfährt ja über ihr Leben, ihre Familien und Träume, und darüber, wie schrecklich sie leiden mussten. Besonders, wenn man sie dann auch noch vor sich sieht, geht das manchmal sehr nah.

Für mich war es natürlich auch sehr bewegend, an der Stolpersteinverlegung selbst teilzunehmen und zu sehen, dass unsere Arbeit Früchte trägt. Zwei Gäste blieben mir dabei besonders im Gedächtnis. Mit einem der Herren habe ich mich eine ganze Weile noch eingehender über die schreckliche Vergangenheit unterhalten und am Ende hatte ich wirklich das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Daran mitzuarbeiten, dass die Verbrechen aufgearbeitet werden, auch wenn man sie natürlich niemals ungeschehen machen kann. Das Gefühl, dass unsere geleistete Arbeit wichtig ist, erfuhr ich auch besonders stark an unserer letzten Station der Verlegung. Es war doch sehr berührend, einen geladenen Angehörigen über seine Familie und Erfahrungen sprechen zu hören. Für uns waren diese Menschen zunächst unbekannt, aber es gab doch Leute, die sie nie vergessen haben und sich fragten, was denn eigentlich passiert ist. Hier helfen zu können, war besonders bewegend.

Ich denke Stolpersteine sind eine gute Art zu gedenken, wenngleich sie nicht die einzige sein sollten. Besonders wichtig finde ich die Platzierung am letzten frei gewählten Wohnort der Person. Die Steine können überall sein und die Erinnerung wird nicht nur auf einen Ort zentriert. Außerdem wird die Person als Mensch behandelt und behält durch die Platzierung zumindest einen kleinen Teil ihrer Individualität, auch wenn die Biographie und die Persönlichkeit auf so einem kleinen Stein leider nicht deutlich werden.

Für mich scheint es nach unserer Arbeit im P-Seminar noch wichtiger, das eigene Verhalten zu reflektieren und sich zu fragen, wie man eigentlich mit Menschen umgeht, die vielleicht anders sind als man selbst. Es ist erschreckend zu erfahren, was früher einmal den Konsens in der Medizin darstellte. Ich glaube auch, dass diese Geschichte der Verleugnung und gezielten Ermordung von kranken und behinderten Menschen einen starken Einfluss auf unseren heutigen Umgang miteinander hat. Deswegen ist es besonders wichtig, Vergangenes aufzuarbeiten und umso bewusster auf Zeichen des Missstands zu achten und aktiv zu werden.

Julia Ebert, Juli 2021