Rede zur Stolpersteinverlegungen für das jüdische Ehepaar Else und Sigmund Dormitzer
Sehr geehrte Angehörige und Nachfahren der Familie Dormitzer,
sehr geehrter Herr Rottner Defet [Träger Bürgermedaille],
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter von Geschichte für alle,
sehr geehrte Damen und Herren,
– Seit mehr als 30 Jahren, seit den frühen 1990er-Jahren, wird mit kleinen Gedenktafeln, wird mit den sogenannten Stolpersteinen an Opfer der nationalsozialistischen Diktatur erinnert.
– Mittlerweile finden sich Zehntausende dieser Erinnerungstafeln, die in der Regel vor den letzten frei gewählten Wohnsitzen der NS-Opfer in den Boden eingelassen werden, in über 1.300 Gemeinden in ganz Deutschland.
– In Nürnberg wurden die ersten Stolpersteine 2004 verlegt, hier erinnern bislang gut 150 dieser Tafeln an überwiegend jüdische Opfer der NS-Schreckensherrschaft.
Und heute kommen zwei weitere dieser mahnenden Erinnerungszeichen hinzu:
– Diese Tafeln machen fortan auf das jüdische Ehepaar Else und Sigmund Dormitzer und ihren einstigen Wohnsitz hier in der Blumenstraße aufmerksam.
– Die 1877 in Nürnberg als Tochter eines Sägewerksbesitzers und Holzhändlers geborene Else Dormitzer machte sich besonders seit den 1910er-Jahren einen Namen als Journalistin und unter dem Pseudonym Else Dorn vor allem als Verfasserin von Kinderbüchern.
– Else Dormitzer schrieb nicht zuletzt für den Kulturteil des „Fränkischen Kuriers“ und später des „Nürnberg-Fürther Israelitischen Gemeindeblatts“ und war in den 1920er-Jahren als Korrespondentin des „Berliner Tagblatts“ tätig.
– Im Fürther Löwensohn- beziehungsweise dem ebenfalls in Fürth situierten Pestalozzi-Verlag – für beide Verlage arbeitete sie auch als Übersetzerin – veröffentlichte Else Dormitzer etliche Kinderbücher und erlangte dadurch eine größere Bekanntheit in Nürnberg und auch darüber hinaus.
– Des Weiteren war sie bereits seit 1922 Verwaltungsmitglied der Nürnberger Israelitischen Kultusgemeinde und damit das erste weibliche Verwaltungsmitglied einer jüdischen Gemeinde in Deutschland überhaupt.
– 1924 wurde sie zudem das erste weibliche Mitglied im Hauptvorstand des wichtigen „Centralvereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens“.
– In der Pogromnacht des Jahres 1938 wurde das Ehepaar Dormitzer brutal misshandelt und im Anschluss gezwungen, sein Eigenheim zu veräußern.
– Mit ihrem Ehemann Sigmund Dormitzer, den sie 1898 geheiratet hatte, ging Else Dormitzer 1939 nach Hilversum in Holland ins Exil.
– Das Ehepaar Dormitzer wurde schließlich im April 1943 in das Ghetto beziehungsweise Konzentrationslager Theresienstadt deportiert.
– Nach ihrer Befreiung emigrierte Else Dormitzer dauerhaft nach England, wo sie 1958 verstarb.
– Auch die beiden Töchter des Ehepaars Dormitzer überlebten in Holland beziehungsweise England.
– Sigmund Dormitzer hingegen erlitt ein noch schlimmeres Schicksal.
– Der 1869 in Nürnberg als Sohn eines Großhändlers geborene Sigmund Dormitzer studierte Rechtswissenschaften in Erlangen, wo er 1893 sein Studium mit der Promotion abschloss.
– Mit seinem Sozius Dr. Bernhard Eismann betrieb er jahrzehntelang eine sehr erfolgreiche und angesehene Kanzlei in der Karolinenstraße.
– Von 1916 bis 1926 wirkte er als Vorsitzender des Nürnberger Anwaltsvereins und war im Anschluss bis März 1933 stellvertretender Präsident der Anwaltskammer Nürnberg.
– 1928 wurde ihm der Titel „Geheimer Justizrat“ verliehen.
– Er engagierte sich zudem in mehreren Nürnberger Vereinen und war 1929 Mitgründer des Rotary Clubs Nürnberg.
– Während seine Ehefrau die Strapazen der KZ-Haft überlebte, verstarb Sigmund Dormitzer im Dezember 1943 im KZ Theresienstadt an einem Hungerödem.
– Else und Sigmund Dormitzer, die in Nürnberg mit ihrer Familie ein gesellschaftlich engagiertes und wirtschaftlich erfolgreiches Leben führten, verloren im Zuge der sogenannten Machtergreifung ihre bisherige Existenz und auch ihre darauf gründenden Zukunftsperspektiven, sie verloren ihren Beruf, ihr Hab und Gut, ihre Heimat – und Sigmund Dormitzer sein Leben.
– Auch mit der Verlegung der beiden neuen Stolpersteine wird fortan daran erinnert, wozu Ausgrenzung, Diskriminierung, Rassenhass und ideologischer Fanatismus führen können und im Falle der NS-Herrschaft massenhaft geführt haben.
– Indem sie uns eine schreckliche Zeit mit all ihren tödlichen Folgen vor Augen führen, gemahnen uns die Schicksale von Else und Sigmund Dormitzer eindringlich an die erfolgten Demütigungen und das erlittene Unrecht und stellen zugleich eine ernste Verpflichtung für uns alle dar, stets für Toleranz, Gerechtigkeit und Frieden mit allem gebotenen Nachdruck einzutreten.