Statement von Ruth Reinecke zur Stolpersteinverlegung

Ein Stolperstein für meinen Onkel Aron

Stolpersteine zeugen von ausgelöschtem Leben. Sie erinnern an Menschen, die verfolgt und ermordet wurden, weil sie durch eine mörderische Politik der Nationalsozialisten als unwertes Leben gezielt und planmäßig vernichtet wurden.

Ich lebe in Berlin im Bayerischen Viertel, ich bin umgeben von unzähligen Stolpersteinen. Sie sind ein Zeichen gegen das Vergessen der vielen Nachbarn, die verschwanden. Ein Stolperstein vor einem Haus, an einem Platz erinnert jeden von uns an das herausgerissene Leben, für das er steht.

Die Familie meiner Mutter lebte in Nürnberg, eine jüdische Familie, wie es viele gab. Durch Antisemitismus und Verfolgung wurde die Familie auseinandergerissen und zerstört. Nicht alle konnten sich retten. So habe ich meinen Onkel Aron nicht kennenlernen dürfen.

Meine Mutter Emma, die sich in ihrer Studienzeit dem antifaschistischen Widerstand in Hamburg anschloss, ging ins Exil und fand in Frankreich und England Aufnahme. So konnte sie überleben. Als einzige der Überlebenden der Familie ging sie nach Deutschland zurück, nach Berlin.

Schon in meiner Kindheit spürte ich den Verlust meiner Familie mütterlicherseits. Es fehlte etwas. Erst im Laufe der Jahre verstand ich, was passiert war. Daher war es nur folgerichtig, einen Stein für meinen Onkel Aron Cohn zu legen.

Etwa zeitgleich legten mein Cousin und meine Tochter gemeinsam mit der verzweigten jüngeren Familie von Aron Cohn in Amsterdam vor seinem letzten Wohnhaus ebenfalls einen Stolperstein. Von dort aus wurden Aron und seine Frau Gitella nach Westerbork verbracht.

Mir war es wichtig einen Stein in Nürnberg zu legen, von hier aus begann die Vertreibung.

So gehört unser Stein zu dem Projekt des Künstlers Gunter Demnig, dem Flächendenkmal der Stolpersteine, die man überall in Deutschland und Europa findet. Ein gutes Gefühl.

Ruth Reinecke, April 2021