Rede von Bernd Siegler zur Stolpersteinverlegung am 26. Juni 2022

Wer war Jenö Konrad, wer war dieser Mann, an den ab heute in Nürnberg zwei Stolpersteine erinnern?

Eugene genannt Jenö Konrad wurde am 13. August 1894 in Nemeth-Palanka, einer kleinen Stadt an der Donau Im serbisch-ungarischen Grenzgebiet, geboren. Er wuchs mit zwei Brüdern und zwei Schwestern auf.

Die Konrads waren sog. Landjuden. Jenö Konrads Vater war Schuster, und wie viele Landjuden machte sich auch die Familie Konrad Anfang des 20. Jahrhunderts in die Großstadt auf, nach Budapest.

Schon als Kind hatte Jenö nur eines im Sinn: Fußball. Jede freie Minute spielte er zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Kalman auf der Straße. Die beiden Talente machten schnell Karriere und gingen als Konrad-Zwillinge in die Geschichte des ungarischen und österreichischen Fußballs ein.

Schon mit 17 debütierte Jenö in der ersten Mannschaft des MTK Budapest, dem damaligen Dreamteam des europäischen Fußballs. Zweimal wurde er mit dem MTK Meister, mit 21 spielte er für die ungarische Nationalmannschaft. Der ausgewiesene Techniker spielte halbrechts oder als Mittelläufer und war damit zentraler Ballverteiler, heute würde man sagen, er war der Taktgeber des Spiels.

Dann kam der 1. Weltkrieg. 22 Monate verbrachte Konrad in russischer Kriegsgefangenschaft. Als er wieder freikam, ging er mit seinem Bruder nach Österreich, denn dort konnte man mit Fußball schon richtig Geld verdienen. Er spielte für Austria und Vienna Wien, wurde einmal Meister und holte zweimal den Pokal.

Wegen eines schweren Meniskusschadens musste er 1925 seine Fußballschuhe an den Nagel hängen. Er wurde in Österreich und Rumänien ein sehr erfolgreicher Trainer.

Genau so einen suchte 1930 der 1. FC Nürnberg. Die goldenen 20er Jahre, in denen der Club mit fünf Titeln die unbestrittene Nummer 1 in Deutschland geworden war, waren zu Ende. Die in die Jahre gekommene Club-Elf war zweimal im Rennen um die Deutsche Meisterschaft frühzeitig ausgeschieden.

Ein Trainer müsse her, der junge Talente in die überalterte Mannschaft einbauen solle, befand man im Club-Vorstand, und im August 1930 holte man den berühmtem Jenö Konrad nach Nürnberg.

Der hatte auch schnell Erfolg, bis zwei denkbar knappe Niederlagen gegen den späteren Meister Bayern München im August 1932 die in Nürnberg erscheinende antisemitische Hetzzeitschrift „Der Stürmer“ auf den Plan riefen. „Der 1. Fußballklub Nürnberg geht am Juden zu Grunde“, lautete die Überschrift des Hetzartikels gegen den jüdischen Trainer.

Dass Konrad jüdischen Glaubens war, spielte bis dahin weder in Ungarn noch in Österreich oder in Deutschland irgendeine Rolle. Es war nur von Interesse, dass er ein guter Fußballer und ein erfolgreicher Trainer war. In Nürnberg wurde er dann als Jude zur Zielscheibe.

„Ein Jude ist ja auch als wahrer Sportsmann nicht denkbar“ zeichnete der „Stümer“ zum x-ten Mal das Bild des körperlich degenerierten Juden, und forderte den 1. FCN unmissverständlich auf: „Club, besinn dich, gib deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem. Werde wieder deutsch, dann wirst du wieder gesund.“

Jenö Konrad überlegte nicht lange, er sah genau, was sich in Deutschland zusammenbraute, und ahnte, wohin die Reise gehen würde. Noch in derselben Nacht packte er seine Koffer und verließ mit Frau Grete und Tochter Evelyn die Stadt und fuhr nach Wien.

„Für mich waren die 2 Jahre beim Club keine kleine Episode, die man im Zuge zwischen Nürnberg und Wien vergisst, sondern ein Erlebnis, das mit mir weiterlebt, wenn ich schon lange, lange anderswo lebe“, schrieb er dem FCN-Vorstand und hinterließ eine Autogrammkarte mit der Aufschrift: „Der Club war der erste und muss der erste werden!“

Der 1. FC Nürnberg verabschiedete den erfolgreichen Trainer mit Bedauern. Für Jenö Konrad begann eine wahre Odyssee quer durch Europa, bevor er sich und seine Familie im Mai 1940 von Lissabon aus mit der Überfahrt auf einem kleinen Frachtschiff nach New York in Sicherheit bringen konnte.

Fünf Monate nach seinem Weggang übernahmen in Deutschland die Nazis die Macht. Umgehend begann die systematische Ausgrenzung der Juden – auf allen Ebenen. Als einer der ersten Vereine strich der Club seine jüdischen Mitglieder von der Mitgliederliste – allein 142 waren es zum 30.4.33.

Von einem Tag auf den anderen wurde ihnen deutlich gemacht, dass sie nicht mehr dazu gehörten, sie wurden eines Teils ihrer sozialen Heimat beraubt. Im Herbst wird ein Buch erscheinen, das diesen 142 ehemaligen jüdischen Club-Mitgliedern einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte geben wird.

Und Jenö Konrad? Der fing in den USA ein neues Leben an – ganz ohne Fußball. Er arbeitete zunächst in einer Nähmaschinenfabrik und dann in einem Gardinengeschäft.

Doch als der 1. FCN 1953 und zwei Jahre später jeweils drei Wochen durch die USA tourte, ließ es sich Konrad nicht nehmen, die Mannschaft im Hotel zu besuchen. Bei den Club-Spielen in New York gegen den FC Liverpool und den FC Sunderland saß er auf der Tribüne. Er schrieb dem DFB-Präsidenten, wie stolz er immer noch wäre, dass er 20 Jahre zuvor diesen 1. FC Nürnberg habe trainieren dürfen.

Am 15. Juli 1978 starb Jenö Konrad in New York.

Dieser Brief an den DFB-Präsidenten, der in der Vereinszeitung des 1. FC Nürnberg abgedruckt war, war für mich ein Glücksfall. Er brachte mich bei meinen Recherchen Mitte der 1990er Jahre zum Thema „Der Club im Nationalsozialismus und ein jüdischer Trainer auf der Flucht“ auf die richtige Spur.

Bis dahin war über Jenö Konrad fast nichts bekannt. Damals, vor mehr als 25 Jahren, gab es auch noch kein Internet und es gab kein Google. Auf meine Suchanzeige in der deutschsprachigen Exilzeitung „Aufbau“ in New York meldete sich aber per Fax Evelyn Konrad, die Tochter von Jenö Konrad, mit der ich heute noch regelmäßig in Kontakt bin.

Sie erzählte mir sehr viel über ihren Vater. Nun wusste ich, wer Jenö Konrad war. Er war nicht nur ein brillanter Fußballer und erfolgreicher Coach, sondern ein vielseitig interessierter Mensch: Er besaß zwei Kinos, er liebte die Literatur und das Theater, er sprach sechs Sprachen fließend und er hatte ein ganz feines Gespür für aufkeimenden Antisemitismus.

Manchmal muss ich mich kneifen, denn es ist fast ein Traum, was in all den Jahren, 26 sind es jetzt, aus den Recherchen über Jenö Konrad alles geworden ist – dank des 1. FC Nürnberg und vor allem dank Katharina Fritsch, die nun kurz den Fortgang der Geschichte bis zur heutigen Stolperstein-Verlegung skizzieren wird.